Tinderland

Washing for Gold in a Toilet Bowl Yeah!

“Ich will Sex!“, schreit mein Sexualtrieb, “Ich will begehrt werden, begehrens-wert sein, gewollt werden, geborgen sein. Ich will Zärtlichkeit!“
Also sitze ich wenig später auf dem Klo und wische. Aber nicht meinen Hintern, sondern über dutzende Gesichter. Tinder. Auf Surfer und noch mehr Surfer folgen aufgepumpte Atzen im Fitnessstudio, Porscheprolls, Boulderboys und Hyperhipster. Dazwischen, schön als Garnitur, wie gekünstelt geschnittene Kiwis auf einem Käsebuffet, die Fratzen schneidenden Freaks.
    “Ach, Tinder…“, seufze ich, während ich mein Geschäft verrichte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schiebe ich Gesichter nach rechts in meine Vögelvorauswahl oder nach links auf dem Müllhaufen. Die meisten gehen nach links. 150 Millisekunden reichen für den ersten Eindruck, hab ich mal gelesen Eine ganze Person, reduziert in einem einzigen, virtuellen Augenblick.
    “Ob die ganzen Boys merken, dass du sie gerade wegwischst? Dass du gerade auf dem Klo sitzt und darüber entscheidest, ob sie dir gefallen oder nicht? Du über sie urteilst wie eine Sortiermaschine über faules Obst?“, fragt mich meine Moralapostelin.
    “Ach, is doch eh nur Tinder!“, verteidigt mich mein gekränktes Selbstwertgefühl. Ich seufze erneut, dann presse ich weiter Fäkalien aus mir heraus und swipe weiter Menschen weg. Ich bin frustriert, wenn ein Swipe nach rechts kein Match produziert und bekomme den kleinen Endorphinboost, wenn es doch passiert. Ein kleines Bonbon für das angefressene Selbstbewusstsein. Ein kleiner Kuss auf das gebrochene Herz. Da ist es, das Begehrtwerden, die Beliebtheit, die Bestätigung.
    Und schon kommen noch mehr Endorphinschübe: Ich erhalte eine Nachricht nach der anderen.
    “Yes!“, freut sich mein Selbstwertgefühl, “Du bist wichtig!“

    Doch leider folgt dem Endorphinhoch direkt das Realitätsdown. Und das stinkt. Was nicht an meinem Stuhlgang liegt, sondern an den widerlichen Sprüchen der Tindertrottel, die in Sekundenschnelle hintereinander aufploppen. Statt charmanter Konversation ernte ich Sprüche wie “Sup?“, “Hey, Bock auf Sex?“ oder den Klassiker:
    “Hey du siehts aus, als muss ich dihc mal so richtig druchficken“. Schreibfehler inklusive.

Doch dann stoße ich tatsächlich auf etwas Brauchbares. Ein Goldnugget im Klobecken, wenn man so will: Er sieht gut aus auf den Bildern, ein bisschen wild und gleichzeitig auch smart. Groß, gepflegt, durchtrainiert – aber trotzdem kein Pumpernickel-Atze. Auch seine Nachricht hört sich gut an:

    “Hi :), Ich bin gerade für eine Woche hier in der Stadt bei Verwandten und lebe in einer offenen Beziehung. Hättest du Lust auf ein Kennenlernen und, wenn die Sympathie stimmt, evtl. auf was Körperliches?”

Am Ende auch noch mit meinem Lieblingssmiley: das mit den ganz weit nach oben gezogenen Mundwinkeln. Also machen auch meine Mundwinkel einen spürbaren Sprung nach oben. Meine Pupillen weiten sich.

***

Dann bin ich am Treffpunkt. Eine schlichte Straßenkreuzung. Und dort steht er: ein Mann. In Wartestellung. Aber statt eines großen, schönen Sportlers erwartet mich ein kleiner Techno-Raver-Freak mit verspiegelter Sonnenbrille. Ziemlich assig.
    “Und das soll er jetzt sein?“, frage ich mich, “Da wurde ich ja richtig verarscht!“, fluche ich schon, mit einem flauen Gefühl im Magen, “Oder bin ich echt so schlecht darin, Fotos und Profile einzuschätzen? Oder ist er das jetzt doch? Und soll ich ihn jetzt ansprechen? Aber was, wenn er es doch nicht ist…?“
    Zu viele Fragen, also drehe ich mich schnell weg. Nervös zücke ich mein Handy. Keine neue Nachricht von ihm.
    “Und wenn er es doch ist, und du ihn nicht ansprichst? Wie dämlich wär das denn?“, stichelt wieder eine Stimme.
    “So ein Dreck!“, fluche ich. Ich würde so gern im Boden versinken. Einfach verschwinden aus dieser unangenehmen Lage. Einfach plopp-und-weg.            
    “Los jetzt, du musst jetzt in die Offensive gehen!“, ruft der Restalkohol, also drehe mich zu ihm um und will gerade fragen, ob er auf mich wartet, als genau in diesem Moment jemand über die Straße kommt.

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