Chili

Scheiß auf Deutschland

Ich ziehe an einem Joint. Dadurch leuchtet das mir abgewandte Ende des Glimmstengels hellrot auf. Ich höre ein knisterndes Brennen, während ich den mit Tetrahydrocannabinol durchzogenen Rauch in meinen Mund strömen lasse und ihn tief in meine Lunge sauge. Ich halte die Luft drinnen, wobei ich leicht das Drücken meines BHs spüre. Dann puste ich wieder aus und schaue dem Rauch nach, wie er zwischen mich und die in bunten Farben blühenden Zierblumen auf der anderen Seite der Amsterdamer Gracht schwebt, an dessen Ufer ich sitze, und sich schließlich in Luft auflöst. Es ist ein schöner Tag, sonnig und warm.              
    Ich muss leicht pupsen, aber meine Freundin scheint das nicht bemerkt zu haben. Debil grinsend starrt sie auf ein vorbeifahrendes Motorboot, auf dem ein paar trottelige, vermutlich Anfang 20-jährige Jungs und ebenso trottelige, wahrscheinlich ebenso alte Mädchen Sekt und Bier trinken und dabei ausgelassen tanzen – zumindest so ausgelassen, wie es das ziemlich teuer aussehende, jedoch nicht allzu große Boot zulässt.

    Der Steuermann lächelt kurz zu mir herüber. Er winkt, und aus Verlegenheit lächle ich zurück, obwohl ich gar keine Lust auf Interaktionen dieser Art habe. Einer aus der Bootsmeute ist offensichtlich ziemlich besoffen. Er trägt cremefarbene Shorts und einen hellblauen Sweater. Er hält ein Sektglas in die Luft und ruft zu einem der Mädchen, das zu der Musik, die von irgendeinem Bluetooth-Speaker viel zu laut dröhnt, gerade zu tanzen anfängt
    “Auf geht’s, Debbie!”     
    “Ach du Scheiße!”, meldet sich mein Alarmsystem in mir, “Deutsche!”

    Jetzt schaut der Typ zu uns rüber. Nach kurzem Überlegen schreit er viel zu laut für die kurze Distanz:

 

    “Heeey, you wanna take a boat trip?”

    Dabei prostet er uns zu, doch das Boot macht einen kleinen, wellengangbedingten Ruckler, sodass er fast sein Gleichgewicht verliert und ein bisschen Sekt über Debbie verschüttet, die das aber irgendwie ganz witzig zu finden scheint, denn sie lacht blöd auf.

“Ich hasse die Deutschen!“, schreit die Misanthropin in mir.

    “Hasst nicht jeder die Deutschen?”, fragt mich mein bekifftes Ich.

Und mein benebeltes Selbst versucht eine Antwort:

    “Ne, die Ausländer hassen die Deutschen nicht. Die finden uns nur irgendwie komisch… Naja, oder nervig? Also die Deutschen hassen andere Deutsche auf jeden Fall. Oder zumindest hassen sie Deutschland. Sonst würden sie ja nicht immer ins Ausland gehen, oder?“

    “Ja, aber warum? Um vor den Deutschen und Deutschland zu fliehen? Wieso machen die ihren Urlaub nicht in der Heimat?“

    “In der Heimat? Ne, vergiss es! Schön weit weg! Mit anderen Trotteln nach Malle fahren und bei deutschen Songs und deutschem Bier die Sau rauslassen. Nach Thailand fliegen, um sich da über scheiß Deutschland aufzuregen. Über das schlechte Wetter. Ein Jahr nach Australien gehen, weil man einmal der nervigen, deutschen Spießigkeit entgehen will. Nur, um dann doch wieder mit anderen Deutschen abzuhängen. ‘Ah, dann können wir ja Deutsch sprechen.‘ Dann Schnitzel essen, Oettinger trinken, Käsebrot essen. Weil ‘das hat man ja soooo vermisst, echtes deutsches Brot!’. Und dann Heimweh verspüren und sich über die Stromleitungen in Thailand und die schlechten Krankenhäuser in Spanien und die giftigen Tiere in Australien aufregen, weil ‘bei uns ist ja alles besser’. Nur man selbst will auf Keinsten dort sein. Jaja… die Deutschen hassen ihr eigenes Land. Sie hassen sich selbst. Und du, du hasst die Deutschen auch!“

    “Bin… bin ich also… deutsch?“, frage ich mich.

    “Du bist vor allem bekifft wie ’ne Eule!“, antwortet meine innere Tripsitterin. Ich grinse blöd und gebe den Joint an meine Freundin weiter, die den Jungs auf dem Boot hinterherlächelt.

    “Boah, was für Proleten”, sage ich. Woraufhin meine Freundin entgegnet:

    “Hä, was?”

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